Neurose und Klassenkampf
Neurose

Michael Schneider

Neurose und Klassenkampf

Materialistische Kritik und Versuch einer emanzipativen Neubegründung der Psychoanalyse

 

Rowohlt, 1973, 358 S.

Titel nicht mehr lieferbar

„Neurose und Klassenkampf“ wurde mit fünf Auflagen und der Übersetzung in sieben Sprachen zu einem wissenschaftlichen Bestseller.

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Klappentext

Eine dialektische Sozialpsychologie, die den Namen verdient, wird sich um das Wechselverhältnis von Triebstruktur und sozioökonomischer Struktur bemühen müssen. Aber noch immer lassen die Disziplinen, die diese Vermittlung zu leisten hätten - Soziologie und Psychoanalyse - beide Kategorien in starrer Isolierung zueinander fortbestehen. Freuds Modell einer Psychologie des Konflikts zwischen den verschiedenen Instanzen des psychischen Apparats - Es, Ich und Über-Ich - blieb gleichgültig gegen die historisch-soziologische Dimension, innerhalb deren es angesiedelt war, und stilisierte zur menschlich-ubiquitären «Triebnatur», was doch nur den «Sozialcharakter» einer bestimmten Klasse ausmachte, nämlich den des aufsteigenden Bürgertums und seiner „protestantischen“ Verzichtsethik. Nachdem schon Marx und in Ansätzen Max Weber diesen Sozialcharakter und seine Kardinaltugenden wie Arbeitsamkeit, Geiz, Sparsamkeit und Abstinenz als Klassen-«Tugenden» mit dem Akkumulationsprozess des Kapitals zusammen gesehen hatte, ging diese kritische Perspektive in der Psychoanalyse Freuds und seiner Nachfolger wieder weitgehend verloren.

Dieses Buch nimmt die in Marxens «Kapital» verstreuten Ansätze und Keime einer materialistischen Klassen-Psychologie wieder auf, um Freuds phänomenale Strukturbeschreibung der «bürgerlichen Seele» aus den verinnerlichten Zwängen der kapitalistischen Waren-Ökonomie zu entwickeln. Wo sich dem konventionellen analytischen Blick das Leiden in und an der Arbeitswelt zur Wiederholung frühkindlicher oder bloß intrafamiliärer Spannungen verengt, beharrt der Autor auf dem «pathogenen Charakter der entfremdeten Arbeit» selbst. Darum kann auch Therapie nicht mehr allein - wie in der herkömmlichen Psychotherapie - als Anpassung des vermeintlich «Kranken» an eine vermeintlich «gesunde» Gesellschaft verstanden werden; vielmehr ist es Aufgabe einer emanzipativen Psychoanalyse, das in der psychischen Krankheit sich äußernde Moment von passivem Widerstand und unbewusster Verweigerung in den aktiven Widerstand gegen die krankmachenden Verhältnisse umzuwandeln.

Pressestimmen

Michael Schneiders luzide, gelehrte und gründliche Studie über das Zwischenland von Marxismus und Psychoanalyse ist den meisten Versuchen seiner Vorgänger weit überlegen.

Das Buch nähert sich seinem Gegenstand in einem dialektischen Dreischritt. Zunächst wendet es sich gegen die stalinistischen und vulgärmarxistischen Verleumder und Ankläger der Psychoanalyse und verteidigt geduldig ihrer bedeutenden Erkenntnisse und Errungenschaften durch den Rekurs auf Marx selbst. Hier kommt dem Autor seine überragende Kenntnis des Marx’ schen Werke zustatten. Sodann wendet er sich gegen Freud und weist mit großem Geschick nach, dass fast jeder Aspekt der Psychoanalyse, sowohl was ihren Subjektbegriff, als auch was ihre formalen Kategorien und Strukturen betrifft, von einem bestimmten Stadium der sozialen und ökonomischen Entwicklung der westlichen Gesellschaften abgeleitet ist. Ausgehend von Marxens Konzeption des Sozialismus macht er schließlich Vorschläge, wie eine analytische Psychologie, welche die materiellen Realitäten einer alternativen Gesellschaft reflektiert, aussehen könnte. Die mögliche Funktion der Psychoanalyse als potentielle Waffe im Klassenkampf ist brillant ausgeführt. Ernest Bornemann, Times Literary Supplement (Aus dem Englischen)

Schneider hat, und das ist die Leistung dieses Buchs, die ökonomischen Verwicklungen unserer Psyche mit dem Kapitalismus klar aufgezeigt. Schneider zeigt uns lückenlos die wertverwertende Hölle, in der die Psyche schmort. Er zeigt uns die Es-Verstümmelung in der materiellen Produktion, wo der Trieb total unter die Arbeitsteilung subsumiert und überhaupt ins Reich der Wünsche abgedrängt wird. Schneider zeigt, wie eben diese Wünsche in der Distributionssphäre vermittels Warenästhetik oder als Abziehbild der Reklame den Produzenten an die Wunschverdrängung erinnern, also zum Kauf, zur Triebbefriedigung anreizen, und Schneider zeigt uns, wie der Produzent als Konsument sich doch wieder nur den Verlust seiner selbst, den Akt der Es-Verstümmelung, das Ergebnis seiner materiellen Produktion einverleibt,. Ihm ist der Selbstverlust Bedingung seiner Existenz, oder wie Marx sagt: ‚Ihm ist das Leben ewig nur Subsistenzmittel’. Also das Buch kaufen und lesen. Es lohn sich! Hartmut Lange, Konkret

Schneider entwickelt die Pathologie der Warengesellschaft, der Arbeitsorganisation und der „Konsumgesellschaft“, deren Folgen für die psychische Lage er mit Hilfe psychoanalytischer Kategorien untersucht. Dabei ergeben sich interessante Zusammenhänge, etwa zwischen dem Überhandnehmen abstrakter und gleichförmiger Arbeit, die sinnliche Bedürfnisse nicht mehr zu binden vermag, und ihrer Verdrängung und Ausbeutung durch Warenästhetik und Reklame, die stets neue Frustrationen erzeugen, was wiederum konsumfördernd wirkt. Intrapsychisch führt dieser Tatbestand zum Gegensatz von verkümmerter, weil nur noch kalkulierender Vernunft und den Gefühlen, die, abgespalten von der Ratio, auf eine infantile Stufe regredieren. Peter Widmer, Basler Nationalzeitung

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